Köln. In dem Fall des angeblich aus freiem Willen verhungerten Häftlings in NRW gehen aus einem vertraulichen Papier der Landesregierung neue, brisante Informationen über den Tod des Mannes hervor: So steht in dem Bericht des Justizministeriums, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitag-Ausgabe) vorliegt, dass der Untersuchungshäftling selbst nie die Absicht geäußert habe, durch den Verzicht auf Essen und Trinken tatsächlich sterben zu wollen.
Vielmehr habe er am 3. November 2020 in der JVA Aachen die Nahrungsaufnahme mit der Begründung eingestellt, das Essen sei vergiftet und die Bediensteten wollten ihm „Böses“. Anschließend aß er über Wochen fast nichts. Am 26. November habe er angegeben, „der Teufel sei in ihm, er gehöre in die Klapse“. Die JVA Aachen wartete einen Monat, bevor man den Mann erstmalig während seines Hungerns am 3. Dezember psychiatrisch untersuchen ließ. Eine Konsiliarpsychiaterin schloss an diesem Tag Gründe, die eine Zwangsernährung hätten rechtfertigen können, aus und wertete den Nahrungsverzicht des Häftlings als „offenkundige Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen“, die er bewusst getroffen habe.
Bisher hatten die Behörden stets betont, der Mann sei „engmaschig“ betreut worden und habe sich „zu keinem Zeitpunkt in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand“ befunden, deswegen habe man ihn nicht zwangsernähren dürfen. Laut Justizministerium sei man in der JVA Aachen davon ausgegangen, dass der Betroffene sich durch Sterbefasten das Leben nehmen wollte. Ein Gerichtsgutachten, das dem Mann eine depressive Erkrankung attestierte, sei dort nicht bekannt gewesen.
An der Darstellung, der Mann habe sich mit klarem Verstand zu Tode gehungert, hatten Experten schon Zweifel geäußert, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Haftverlauf des 67-Jährigen in der vergangenen Woche dargelegt hatte: So hatte der ehemalige Tüv-Ingenieur bereits vor seiner Verhaftung die wahnhafte Vorstellung entwickelt, er würde erblinden. Nachdem er im Rausch seine Ehefrau erdrosselt hatte, wurde er zunächst mit Verdacht auf Psychose in eine Psychiatrie zwangseingewiesen. Von dort kam er in die JVA Köln, wo er innerhalb weniger Tage mehrere – teilweise schwerwiegende – Suizidversuche unternahm. Aus dem Bericht der Landesregierung geht nun hervor, dass bereits damals ein Konsiliarpsychiater eine stationäre psychiatrische Behandlung des Mannes „bei fortbestehender Suizidalität“ für „erforderlich“ hielt. Nur eine Woche später lief der Mann so oft mit Anlauf mit dem Kopf gegen die Zellenwand, dass er auf die Intensivstation im JVK gebracht werden musste. Dort wurde er drei Wochen lang behandelt, laut dem vertraulichen Papier auch mit Psychopharmaka. In eine Psychiatrie kam er anschließend und bis zu seinem Tod aber nicht.
PM/Kölner Stadt-Anzeiger